Hans-Helmut

 

Frau Sieg ist meine Chefin. Wie jede Büroleiterin und Chefsekretärin ist sie die, die den Hintergrund beherrscht - nein, sie befraut den Hintergrund, vor dem ich herrsche. Sie ist also wer und souverän, mütter - und fürsorglich. Nur dann ist jemand bei ihr durch, der sich so meldet: Ist Hans-Helmut da?

Frau Sieg siezt mich nämlich – wie die meisten. Auch die, die ich vorgeschrieben in den Arm nehme und herze, links und rechts küsse und ab Süddeutschland und in gewissen Hamburger Kreisen wieder zurück kose. Wenn ich unkonzentriert bin und nicht mitzähle, dann sind es schon bis zu 6 Küsschen. Auch solche sieze ich. Sozusagen erst recht. Um auf diese Weise das Minimum von Distanz zu retten, die ich brauche. Ich stamme nämlich aus der Lüneburger Heide.

Frau Sieg kann jene nicht ausstehen, die sich am Telefon melden und sagen: „Ich will Hans-Helmut sprechen!" Ist Frau Sieg eifersüchtig? Kaum. Ich küsse sie immer, wenn ich sie sehe. Und das ist häufiger als in jenen Hamburger Kreisen oder alemannischen Doppel - und Dreifachkussgruppen.

Meist nimmt sie mich in den Arm und dies genieße ich, denn dann verschwinde ich - wie andere am Busen der Natur - vorübergehend an der Natur ihres Busens, denn Frau Sieg ist größer als ich und stark. In vielerlei Hinsicht. Nein, Frau Sieg und ich haben Duzen einfach nicht nötig.

Es kann also nicht Eifersucht sein. ,,Ist Hans-Helmut da?" Ist aus anderem Grund der Grund, weswegen Frau Sieg Leute fallen, mindestens zappeln lässt zur nächsten Woche. Frau Sieg hat was gegen Angeber. Solche Duzer im offiziellen Behörden-Alltag geben einen Besitzanspruch an. Geben mit dem Duzen einen direkten Draht an als die Frau Siegs dieser Welt zu den Chefs dieser Welt haben. Dabei glüht kein (dienstlicher) Draht so heiß wie der zwischen den Frau Siegs und ihren Chefs.

Es gibt sie auf allen Ebenen, diese Duzer. Ein echter Promi, nicht nur Lokalpromi, ist Dieter. Dieter wiederum kennt alle anderen und das teilt er zu gern mit. Was so klingt: ,,Ach du - endlich! Bei dir fühle ich mich gleich nah - hingegen gestern Abend bei Johannes, bis ich da durch bin an den Kontrollen und den armen Johannes in seinem Gefängnis sprechen kann ..." - Dieter war nämlich gestern Abend beim Bundespräsidenten.

Auf diese Weise erfahre ich auch, dass er morgen zu Margot, äh - zur Bischöfin nach Hannover muss" und ob ich schon wüsste, dass Helmut immer mehr unter seinem Rauchen leidet, aber immer mehr raucht? Nein, weiß ich nicht und ich vergewissere Dieter meines Mitgefühls mit Helmut Schmidt Schnauze, den er übermorgen sieht.

Es sind diese Angaben, die Frau Sieg angeberisch findet. Aber jetzt schließe ich diese Kolumne, denn Dieter wartet auf mich. Dieter? - ich meine meinen Freund - nein, sag ich nicht. Weil ich von Frau Sieg nicht fallengelassen werden möchte.

 

27.01.2004